Küstenexkursion - Freitag, 02. Mai 2008

Rügen und die Ostsee

Am vorletzten Tag unserer Exkursion erkunden wir einen kleinen Teil der Insel Rügen. Wir werden dabei von Herrn Dr. Ingolf Stodian vom Nationalparkamt Vorpommern sowie einer Praktikantin begleitet. Als erstes fahren mit dem Linienbus von Binz aus nach Sassnitz und leihen uns Fahrräder aus, mit denen wir zunächst zum Nationalpark "Jasmund" fahren. Dort gibt uns Herr Dr. Stodian zu Beginn umfangreiche Informationen zu den Buchenwäldern auf den Kreidefelsen:

Ohne Eingriffe durch den Menschen wäre fast überall in Deutschland die Buche die vorherrschende Baumart. Im Mittelalter und in der Spätzeit wurden die Buchenbestände jedoch größtenteils abgeholzt, bei der Wiederaufforstung wurden schneller wachsende Baumarten, insbesondere Nadelbäume bevorzugt, um große Mengen an Nutzholz zu erhalten. Heute versucht man den ursprünglichen Naturbestand des Waldes an vielen Stellen wieder herzustellen - so auch im Nationalpark Jasmund. Problematisch ist dies insofern, als in Nationalparks die Natur eigentlich sich selbst überlassen bleiben soll. Die Nationalparkverwaltung hat sich in diesem speziellen Fall dennoch zum Eingreifen entschlossen, da hierdurch menschliche Einwirkungen auf die Natur rückgängig gemacht werden.

Buchenwald auf Rügen (Quelle: eigene Aufnahme)

Blick vom Kreidekliff zur Ostsee (Quelle: eigene Aufnahme)

Anschließend wird uns die Entstehung der Kreidefelsen erläutert. Das Gestein ist vor über 70 Millionen Jahren am Grunde eines Meeres an der Stelle der heutigen Ostsee entstanden. Es handelt sich dabei um ein chemisches Sediment, welches zu 97 % aus Calciumcarbonat besteht. Zu etwa 3/4 enthält die Kreide scheibenförmigen Plättchen, wobei es sich um Schalen von urzeitlichen Kalkalgen handelt. Im Durchschnitt lagerten sich 0,5 mm pro Jahr auf dem Meeresboden des Schelfmeeres ab. Es entstand Kalkschlamm, daraus wurde durch Druck und Wasserentzug Kreide. Während der Entstehung wurden auch größere Organismen eingeschlossen, welche man heute als Fossilien in der Kreide finden kann - z.B. Donnerkeile (Belemniten) und versteinerte Seeigel. In den Eiszeiten wurden die Kreideschollen dann von bis zu 1000 m mächtigen Gletschern gepresst und verformt. Nach dem Abschmelzen der Weichsel-Gletscher ragte der Kreidesockel aus der entstehenden Ostsee heraus, durch die Einwirkung der Brandung entstanden die berühmten Kreidefelsen. Heute ragt die Jasmunder Kreide bei einer Gesamtmächtigkeit von 200 - 250 m etwas mehr als 100 m aus der Ostsee heraus, d.h. ca. die Hälfte der Kreideablagerungen befinden sich unterhalb des Meeresspiegels.

Kreidefelsen aus der Froschperspektive (Quelle: eigene Aufnahme)

Kreideküste von oben (Quelle: eigene Aufnahme)

Die Kreide wird im Tagebau Promoisel auch heute noch abgebaut und als Baustoff und in der Industrie (Düngemittel, Heilkreide, Pigmentstoff, Fliesen-, Papier- und Autoreifen-Herstellung, Rauchgasentschwefelung)  verwendet (mehr Infos über Kreide). Über die Rekultivierung der stillgelegten Bergbauflächen hat man sich auf Rügen intensive Gedanken gemacht und für entsprechende Maßnahmen sogar schon einen Preis gewonnen. In Gummanz auf Rügen gibt es auch ein Kreidemuseum.

An der Kreideküste sind immer wieder Einschnitte von bräunlich-gräulichem Geschiebemergel erkennbar, welcher in der Eiszeit entstanden ist. Der Geschiebemergel ist weicher als die Kreide, bildet daher häufig kein so steiles Kliff.

Kreideküste mit Geschiebemergel (Quelle: eigene Aufnahme)

Kreideküste mit Exkursionsteilnehmern (Quelle: eigene Aufnahme)

In den Kreidefelsen findet man zudem auch so genannte Feuersteinbänder. Man geht davon aus, dass es während der Bildung der Kreide immer wieder zu  periodischen Kieselsäureablagerungen gekommen ist, weshalb die Feuersteine schichtartig eingelagert sind. Die Kieselsäureablagerungen stammen aus den Überresten der Kieselalgen. Die Dehydrierung (Abspaltung von Wasserstoff) der Kieselsäure erfolgt von innen nach außen, wodurch die Feuersteine oft eine zwiebelartige Struktur aufweisen. So entstanden auch die "Hühnergötter": während der Feuersteinbildung waren kalkhaltige oder organische Materialien eingeschlossen, welche später durch das Meerwasser wieder ausgelöst bzw. ausgespült wurden.

Hühnergott - Feuerstein mit Loch (Quelle: http://commons.wikimedia.org)

Feuersteinband im Kreidekliff (Quelle: eigene Aufnahme)

Da der Feuerstein sich der Verwitterung wesentlich stärker widersetzt als die Kreide, bildet sich vor den Kreidekliffs meist ein Blockstrand aus Feuerstein-Geröllen. Früher benutzte man Feuerstein für Pfeilspitzen und Werkzeug, in der Steinzeit war er daher eine wertvolle Handelsware. Heute wird er für derartige Zwecke nicht mehr verwendet, da er leicht springt. Allerdings wurde er vielfach als Baumaterial verwendet, z.B. im Bereich des Küstenschutzes und als Baustein für Häuser. Deswegen ist der Feuerstein heute sehr selten.

Am Hangfuß des Kliffs finden wir auch Kalktuff vor. Dabei handelt es sich um ein poröses und noch junges Sediment. Es entsteht vornehmlich unterhalb von Quellen. Das im Quellwasser gelöste Carbonat fällt aus, sobald das Wasser in Kontakt mit der Atmosphäre kommt, welche einen viel geringeren CO2-Gehalt aufweist als die Luft im Untergrund.

Blockstrand (Quelle: eigene Aufnahme)

Kalktuff am Fuß des Kreidekliffs (Quelle: eigene Aufnahme)

Vergeblich suchen wir nach Bernstein, dem "Gold der Ostsee". Dieser wird hauptsächlich an Sandstränden, vor allem während Herbststürmen, angespült - da wir Anfang Mai unterwegs sind, müssen wir uns auf das Sammeln von Hühnergöttern und Fossilien (meistens Donnerkeile) beschränken.

Nach unserer Wanderung unterhalb des Kreidekliffs geht es mit den Fahrrädern weiter zum Hafen von Sassnitz. Das hier vorhandene umfangreiche gastronomische Angebot nutzen wir für eine Mittagspause. Der Hafen wird durch eine fast 2 km lange Mole vor den Erosionskräften der Ostsee und vor Stürmen geschützt.

Karte des Hafens von Sassnitz (Quelle: eigene Zeichnung)

Blick zur Mole des Sassnitzer Hafens (Quelle: eigene Aufnahme)

Um die Auswirkungen solcher Baumaßnahmen geht es nach der Mittagspause am Südende des Hafenbereichs, wo sich auch eine große Fischfabrik befindet. Da Erosion durch die Ostsee im Bereich des Hafens verhindert wird, setzte diese nun neben dem Hafen umso stärker ein - es bildete sich ein Kliff im dort anstehenden Geschiebemergel (siehe Karte und folgende Bilder). Durch das Anschütten von großen Steinblöcken konnte die Erosion in Hafennähe verhindert werden, der Bau einer Mauer unterhalb des Kliffs war jedoch nutzlos - diese Mauer ist durch die Ostsee eingerissen worden, übrig blieben lediglich kleine Reste davon (alle Bilder lassen sich durch Anklicken vergrößern).

Küstenschutz durch Steinblöcke am Hafen von Sassnitz (Quelle: eigene Aufnahme)

 

Geschiebemergelkliff am Sassnitzer Hafen (Quelle: eigene Aufnahme)

Mauerrest am Südende des Kliffs (Quelle: eigene Aufnahme)

Mauerrest am Nordende des Kliffs (Quelle: eigene Aufnahme)

Der Hafenbereich selbst wird gelegentlich ausgebaggert, damit die Fahrrinne auch weiterhin die Einfahrt größerer Schiffe zulässt. Die Wasserqualität der Ostsee wurde durch Hafen und Industrie (insbesondere durch die Fischfabrik) in der Vergangenheit sehr beeinträchtigt. Dies hatte große Auswirkungen auf den Fischbestand und auf die Zugvögel. In den letzten Jahren hat sich die Wasserqualität wieder stark verbessert, da durch Kontrollen und Auflagen die Gesetze der EU und Deutschlands durchgesetzt wurden. Während man früher lediglich 20 cm tief sehen konnte, ist heute sogar der Grund der Ostsee erkennbar.

Weiter südlich gibt es seit den 80er Jahren ebenfalls große bauliche Maßnahmen an der Küste: Es wurde ein neuer Fährhafen gebaut, der bis heute fortwährend ausgeweitet wird. Durch die Lage im äußersten Nordosten Deutschlands sind die hiesigen Fährverbindungen nach Schweden, Litauen und Russland die kürzesten Seeverbindungen von Deutschland in diese Länder. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass von hier ganze Eisenbahnzüge mit der Fähre übergesetzt werden können - es handelt sich um den größten Eisenbahnfährhafen Deutschlands.

Der nächste Abschnitt unserer Radtour bringt uns zu einem Küstenabschnitt im Süden des Fährhafens. Wir befinden uns auf der so genannten Schmalen Heide, einer Nehrung zwischen den Inselkernen Jasmund und Granitz. Diese ist durch einen Küstenausgleichsprozess in den letzten 5000 Jahren entstanden. Im Gegensatz zur Kliffküste auf Jasmund liegt hier eine Ausgleichsküste vor. Der kilometerlange, breite und feinsandige Strand gilt schon lange als einer der schönsten Badestrände in Deutschland. Aus diesem Grund wurde hier im dritten Reich das größte deutsche Seebad geplant und gebaut, wo 20 000 Menschen gleichzeitig Urlaub machen können sollten - das Seebad Prora. Ebenso wie beim alten Hafen von Sassnitz, hat verursacht durch den Fährhafen ein Erosionsprozess im Süden der Befestigungsmaßnahmen eingesetzt - der Sandstrand wird ausgespült, der vorhandene Kies reichert sich an. Diesen Prozess versucht man durch die künstliche Anschüttung von Sand zu verlangsamen, insbesondere da langfristig auch der touristisch sehr intensiv genutzte Strandabschnitt beim Seebad Binz gefährdet sein könnte.

 

Fährhafen Sassnitz mit verkiestem Strand (Quelle: eigene Aufnahme)

Verkiester Strand - Blickrichtung Süden (Quelle: eigene Aufnahme)

Verkiester Strand - Blickrichtung Nordwesten (Quelle: eigene Aufnahme)

Viele Kilometer vor der Küste soll in diesem Bereich ein Offshore-Windpark entstehen. Weitere vier Windparks sind an anderen Küstenabschnitten Rügens geplant. Die Projekte werden durch die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern stark vorangetrieben, um den Anteil regenerativer Energien an der Energieversorgung des Landes zu steigern. Tourismus-, Fischerei- und Naturschutzverbände stehen den Projekten aus verschiedenen Gründen kritisch gegenüber: Es ist z.B. offen, inwieweit sich der Bau einer solchen Anlage auf die Fischbestände und die Zugvögel auswirken würde. Zu befürchten ist, dass diese durch die Windräder so sehr gestört wären, dass sie hier weniger gerne rasten, eventuell könnte sogar die Aufzucht der Jungvögel beeinträchtigt werden; zur Untersuchung der möglichen Auswirkungen wurde im Jahr 2007 die Forschungsplattform FINO II nordwestlich der Insel Rügen in Betrieb genommen. Es gilt auch zu beachten, dass Verletzungen der Vereinbarungen im Rahmen der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU zu kräftigen Strafen führen könnten, falls sich Beeinträchtigungen der Zugvogel-Populationen ergeben. Alleine das Monitoring (Beobachten der Arten) lässt sich Europa 4,5 Milliarden Euro kosten, was den Stellenwert dieser Vereinbarungen verdeutlicht. Für Touristen könnten die Windparks eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes darstellen, da sie vom Strand aus am Horizont zu sehen wären, obwohl sie weit vor der Küste geplant sind.

Zum Abschluss des Tages begeben wir uns zu den Feuersteinfeldern auf der Schmalen Heide, die lediglich ein paar hundert Meter vom Ostseeufer entfernt zu finden sind. Es handelt sich dabei um einen ehemaligen Küstenabschnitt, der früher direkt der Brandung ausgesetzt war und heute verlandet ist. Mögliche Ursachen dafür sind die Materialanhäufung im Bereich der Ausgleichsküste, eine tektonische Hebung der Insel Rügen oder auch eine Senkung des Wasserstands der Ostsee. Man vermutet eine starke Materialanhäufung im Rahmen mehrerer Sturmfluten vor ca. 3000 - 4000 Jahren.

Früher wurden die Feuersteinfelder regelmäßig beweidet, wodurch eine Verbuschung verhindert wurde. Dadurch entstand ein besonderes Biotop, welches bereits 1935 unter Naturschutz gestellt wurde. Im Laufe der Zeit konnten sich immer wieder Büsche und Bäume auf den Steinfeldern ausbreiten, in anderen Zeitabschnitten hat der Mensch durch Beweidung erneut aktiv eingegriffen, um die Artenvielfalt zu erhalten.

Feuersteinfelder (Quelle: eigene Aufnahme)

Feuersteinfelder (Quelle: eigene Aufnahme)

Auf dem Rückweg nach Binz kommen wir noch am "Koloss von Prora" vorbei, wovon heute zum größten Teil nur noch Ruinen vorhanden sind. Da wir am nächsten Morgen nach Hause fahren, ist der Rest des Abends zum Feiern freigegeben. 

Ruine des Seebads Prora (Quelle: eigene Aufnahme)

Seebrücke und Kurhaus am Ostseestrand von Binz (Quelle: eigene Aufnahme)