Die Gezeiten (Tide)
Einleitung und Grundbegriffe
Unter den Gezeiten versteht man den Zyklus von Ebbe und Flut. Sie werden auch Tide genannt. Mond und Sonne verändern kontinuierlich die Schwerkraftstörung (Abweichung von der Schwerkraftrichtung zum Mittelpunkt der Erde) auf unserer Erde. Da sich die Wasseroberfläche immer senkrecht zu der Gesamtkraft, die auf das Wasser einwirkt, ausrichtet, entstehen Flutberge in den großen Gewässern unseres Planeten. Die Schwerkraftstörungen werden durch Gravitationskräfte von Masse außerhalb des Systems (z.B. Sonne und Mond) verursacht.
Die Ebbe und Flut führt zu Hoch- und Niedrigwasserständen, die nach einem genauen Schema entstehen und sich zyklisch wiederholen. Für Hoch- und Niedrigwasser auf der Erde sind hauptsächlich der Mond und die Sonne verantwortlich: der Mond doppelt so stark wie die Sonne. Da die Kräfte von Sonne und Mond aber nicht immer aus der gleichen Richtung kommen, gibt es geringere und stärkere Hoch- oder Niedrigstände. Durch Ebbe und Flut wird auch die Küste geformt, es entstehen z.B. große Wattflächen bei Flachküsten.
Unter Ebbe versteht man den Zeitraum, in dem das Wasser sinkt, unter Flut den, in dem der Wasserpegel steigt. Die Extrema heißen Hoch- und Niedrigwasser.
Pegelstände
Tide-Niedrigwasser (Quelle: www.solstice.de) |
Tide-Hochwasser (Quelle: www.solstice.de) |
Die Differenzen der Wasserstände aufgrund der Gezeiten können am Rand großer Ozeane (z.B. Atlantik, Pazifik) beträchtliche Ausmaße annehmen und bis zu 2 m Pegelstand Unterschied verursachen. In diesem Fall können dann ganze Buchten trockengelegt werden, wenn Niedrigwasser herrscht, oder Parkplätze bei Ebbe trocken, bei Flut unter Wasser liegen. Dies bringt viele Nachteile, da z.B. Häfen schwerer zu errichten und anzufahren sind, bzw. die Boote nicht immer im Wasser schwimmen, große Schiffe können z.B. Buchten nicht zu jeder Zeit befahren. Ein Vorteil ist die Stromgewinnung aus dem Gezeitenfluss, denn dies ist ein umweltfreundlicher, immer möglicher Vorgang, Strom zu gewinnen: Gezeitenkraftwerke.
Täglich gibt es zweimal Ebbe und Flut. Der zeitliche Abstand zwischen den Extrempegelständen (Hochwasser / Niedrigwasser) liegt bei 12,5 Stunden, weil der Mond jeden Tag seine Position zur Erde leicht verändert. Als Hoch- oder Niedrigwasser ist der Pegelunterschied spürbar, der durch den Mond verursacht wird, der Pegelstand, der durch die Sonne verursacht wird, verstärkt oder vermindert nur die empfundene Ebbe oder Flut. Der Mond also sorgt für den zeitlichen Zyklus.
Der Mond verursacht zwei Flutberge. Die Begründung ist der Rechnung zu entnehmen (siehe unten). Das gleiche gilt auch für die Sonne, also gibt es insgesamt vier Flutberge (Vier-Flutberge-Theorie). |
2 Flutberge (Quelle: wikipedia.org) |
Nipptide / Springtide
Springtide (Quelle: wikipedia.org) |
Nipptide (Quelle: wikipedia.org) |
Es gibt Springtide und Nipptide: Bei den Springtiden fallen zwei Flutberge, einer des Mondes sowie einer der Sonne aufeinander, da Sonne und Mond in gleicher oder genau entgegen gesetzter Richtung von der Erde aus stehen. Eine Springtide ist also eine sehr große Flut mit erhöhtem Sturmflutrisiko. Eine Nipptide ist das Gegenbeispiel, bei dem sich Flutberge von Mond und Sonne gegenseitig vermindern. In diesem Fall steht die Sonne orthogonal (senkrecht) zum Mond von der Erde aus gesehen. Flut und Ebbe ist dann nur noch schwächer zu spüren.
Der Abstand zwischen den Springtiden beträgt die Hälfte der Umlaufzeit des Mondes um die Erde (27/2 Tage), also fast 2 Wochen. Das gleiche gilt für die Nipptide.
Einfluss der Topographie
Das vorstehend erklärte Modell ist nur eine physikalische Erklärung der wirkenden Kräfte, sagt jedoch noch nichts Konkretes über die tatsächlichen Hoch- und Niedrigwasserstände aus. Hierzu muss man noch die Topografie der Erde betrachten.
In Binnengewässern entstehen fast keine Ebbe und Flut, nur in den großen Ozeanen. Dadurch ist der Unterschied von Ebbe und Flut in Nord- und Ostsee zu erklären. In der Ostsee ist Ebbe und Flut fast nicht zu bemerken, in der Nordsee reicht der Pegelunterschied aus, Wattgebiete entstehen zu lassen. Auch die Küstenart (Steil- oder Flachküste) hat somit Einfluss auf die Auswirkungen des Tidenhubs. Bis jetzt wurde noch kein Modell entwickelt, mit dem man den Tidepegelstand für jeden Ort der Erde voraussagen kann.
Zur Veranschaulichung wird meist das Modell mit vier Flutbergen gewählt (zwei Flutberge von der Sonne, zwei vom Mond; die sich auf den Meeren von Ost nach West verschieben sollen). Dies ist allerdings eine starke Vereinfachung, da es solch “modellhafte” vier Flutberge in Wirklichkeit gar nicht gibt.
Die spezifischen Pegelstände für einen beliebigen Ort weichen von diesem Modell sehr weit ab. Dies liegt daran, dass die Flutberge nicht einfach über den Planeten rollen können, da die Kontinente den Weg versperren. So werden die Wassermassen in Bewegung gebracht und werden anschließend an den Kontinenten reflektiert, so wie Wasser in einer Flasche, die man etwas “rüttelt”.
Zeitlicher Verlauf der Pegelunterschiede (Quelle: wikipedia.org)
Wie man in der Abbildung sieht, gibt es in der Realität überhaupt keine vier Flutberge, sondern eher Punkte im Meer, um die sich die Hochwasserzonen im Kreis herum ausbreiten, nicht immer von Ost nach West. Die Flut bildet sich auf der offenen See mit einer geringen Pegeldifferenz, wird dann aber an der Küste mehr und mehr spürbar, da dort die Wassertiefe nachlässt. Am extremsten ist die Flut also, nachdem ein Flutberg lange Zeit beschleunigt wurde und dann in eine enge Bucht einfließt. Ein Beispiel dafür wäre die nördliche Bretagne oder die Normandie (siehe den Parkplatz am Mont St. Michel in Frankreich; der bei Tidenhochwasser überflutet ist, bei Niedrigstand aber trocken liegt).
Physikalische Grundlagen der Gezeiten
Die Revolution - eine verschiebende Bewegung der Erde
Die Revolution Erde-Mond |
Die Erde und der Mond haben als “Gesamtsystem” einen gemeinsamen Schwerpunkt innerhalb der Erde, in der Abbildung als “+” zu sehen, um den sie sich bewegen. Durch diese Bewegung entsteht eine Beschleunigunskraft für alle Punkte auf der Erde. Diese ist für alle Punkte gleich, da es für die Erde keine Rotation (Drehung), sondern eine Revolution ist (verschiebende Bewegung): Jeder Punkt bewegt sich auf einer Kreisbahn mit gleichem Radius. Der Radius dieser Revolutionsbewegung ist gleich dem Abstand des gemeinsamen Schwerpunkts von Erde und Mond vom Schwerpunkt der Erde (ca. Erdmitte) und beträgt 4780 km. Die Periodendauer dieser Revolution beträgt 27,32 Tage. Nun kann man mit der Formel für die Zentripetalkraft bei einer Kreisbewegung die Kraftwirkung auf 1 kg Masse berechnen:
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Die Gravitation (Schwerkraft) des Mondes
Die Gravitationskraft des Mondes ist auf der einen Seite der Erde kleiner als auf der anderen Seite, da die Entfernung vom Mond verschieden ist. Mit der Mondmasse von 7,35*1022 kg, der Umlaufdauer des Mondes um die Erde von 27,32 Tagen und den folgenden Entfernungen:
Abstand der Schwerpunkte von Erde und Mond:
384.400 km
Erdradius:
6.370 km
kann man die Gravitationskraft des Mondes auf 1 kg Masse an der Erdoberfläche berechnen.
Mondzugewandte Seite der Erde (Abstand vom Mondmittelpunkt beträgt 378.030 km = 384.400 km - 6.370 km):
Mondabgewandte Seite der Erde (Abstand vom Mondmittelpunkt beträgt 390.770 km = 384.400 km + 6.370 km):
Die Gezeitenkräfte ( = Ergebnis aus Revolution und Gravitation des Mondes)
Auf der Mondzugewandten Seite der Erde erhält man somit durch Vektoraddition eine zum Mond gerichtete Kraft:
Auf der Mondabgewandten Seite der Erde erhält man auf gleiche Weise eine vom Mond weg gerichtete Kraft (negatives Vorzeichen):
Die Berechnung zeigt, dass sich auf beiden Seiten der Erde eine Kraft ergibt, die von der Erde weg gerichtet ist (entsprechend der vereinfachten zwei-Flutberge-Theorie).
Gezeitenkräfte (Quelle: wikipedia.org) |
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Die nebenstehende Abbildung beschreibt die durch den Mond hervorgerufenen Gezeitenkräfte auf allen Seiten der Erde. Man erkennt auch, dass diese auch auf der vom Mond abgewandten Seite von der Erde weg zeigen. Ebenso würde ein Bild aussehen, welches die Gezeitenkräfte der Sonne auf die Erde darstellt. Die Kräfte wären lediglich etwas kleiner. |
Folgen der Gezeitenkräfte
Es gibt noch weitere Folgen der Gezeitenkräfte, im Wesentlichen verformt sich die komplette Erde immer ein wenig, weil der Erdkern flüssig ist. Dies kann bei Experimenten an großen Teilchenbeschleunigern, wie z.B. dem LEP im Cern, spürbar sein. Gezeitenkräfte können in anderen Systemen wie unserer Erde so extrem sein, dass schon ganze Planeten gespaltet wurden.
Zusammenfassung und Ausblick
Die Gezeiten verursachen also Hoch- und Niedrigwasserstände, täglich in einem zyklischen Zeitabstand, wobei man die Zeit ansteigenden Pegelstandes Flut und die des fallenden Pegelstandes Ebbe nennt. Durch die Stellung von Mond und Sonne kommt es dazu (ebenfalls in einem zyklischen Rhythmus; ca. 14-tägig), dass Spring- und Nipptide entstehen.
Das Prinzip von Ebbe und Flut wird immer gleich bleiben. Doch weil sich immer mehr Wasser in den Ozeanen befindet (Abschmelzen der Pole), was ein Ansteigen des Weltwasserstandes mit sich bringt, werden in Zukunft weiter landeinwärtige Gebiete von den Gezeiten betroffen sein.
Literatur
Internet
Die Kräfte der Gezeiten auf weltderphysik.de
Physikalische Erklärung der Gezeiten in einem Forum
Gezeiten auf der privaten Homepage fascination.de
Bilderquellen:
Vielen Dank für alle Bilder, die mir bereitgestellt wurden, besonderen Dank auch an Prof. Dr. Werner B.Schneider (www.solstice.de), der mir die Hafenbilder bereitgestellt hat.